dem Mattis sein Papa

Im folgenden geht es um zwei verschiedene Formen von Rinderhaltung im Vergleich.

Hof Butenland und Uria e.V. Beides sind gemeinnützige Organisationen die sich für Nutztiere einsetzen.

Auslöser für diesen Artikel war eine Diskussion um ein Buch der Tierrechtlerin Hilal Sezgin mit dem Titel „Artgerecht ist nur die Freiheit“.

Glaubt man dem Buchtitel kann Tierhaltung nie artgerecht sein. Haltung bedeutet einem domestizierten Tier ein Zuhause zu geben, sich um Futter, Wasser und medizinische Versorgung zu kümmern. Im Gegenzug müssen immer natürliche Bedürfnisse der Tiere begrenzt werden, selbst auf dem besten Hof endet die Freiheit am Weidezaun. Wenn wir aber von artgerechter Nutztierhaltung sprechen, so versuchen wir die Haltungsbedingungen der Tiere weitestmöglichst an ihre natürlichen Bedürfnisse anzupassen. Hier beginnt das 1. Problem: wer legt fest, was „gut“ ist, welche Bedürfnisse unterdückt werden dürfen und welche nicht. Für uns ist eine möglichst natürliche Haltung immer auch eine artgerechte Haltung, d.h. wir orientieren uns an den nächstmöglichen Vorgaben der Natur. Bei Rindern sind das Wildrinder. Andere orientieren sich an eigenen Erkenntnissen oder Vorstellungen aus der Übertragung menschlicher Gefühle auf die Tiere, auch das halten wir für „zulässig“.

Hof Butenland schreibt: „Kein Landwirt, kein Biologe wird leugnen, dass in Tiermüttern der Muttertrieb und in Jungtieren ein Bedürfnis nach der Mutter fest verankert ist. Es ist keine „Vermenschlichung“, daran zu erinnern. Trotzdem berauben wir sie ihrer Familien, standardmäßig.“ und bezieht sich auf die gängige landwirtschaftliche Praxis Milchkühen gleich nach der Geburt die Kälber wegzunehmen oder Mutterkühen das aufgezogene Kalb.

Wir setzen nun provokativ dagegen: „Kein Tierverhaltensforscher, kein Biologe wird leugnen, dass Vatertiere in einer Rinderfamilie eine Rolle spielen und der Fortpflanzungstrieb in den Tieren fest verankert ist. Es ist keine „Vermenschlichung“, daran zu erinnern. Trotzdem beraubt ihr sie ihrer Väter und Männer, standardmäßig.“

Rinderhaltung erfordert, wenn wir den natürlichen Tod durch Fressfeinde, Hunger und Krankheiten weitestgehend ausschalten, Bestandsregulierung. Diese kann auf zwei Arten geschehen: durch Töten oder Geburtenkontrolle.

Auf Hof Butenland gibt es keine männlichen Rinder. Um Nachwuchs zu verhindern, werden männliche Tiere dort kastriert. Damit wird „gewaltsam“ den Tieren ein wesentliches Grundbedürfnis vorenthalten: der Sexual- bzw. Fortpflanzungstrieb und die ganzen Verhaltensmuster und soziale Interaktion rund um das Vatertier, den Bullen.

Die Folgen sind völlig unnatürliche Verhaltensmuster, die jetzt auftreten. Da wäre soweit unkritisch, solange man nun nicht glaubt, man müsse dieses Verhalten als Maßstab artgerechter oder gar natürlichen Verhaltens machen.

Der süsse Ochse Mattis ist ca. 2,5 Jahre alt und trinkt ab und an noch bei seiner Mutter Dina Milch. Dieses unnatürliche Verhalten wird nun als Zeichen besonderer Liebe und Fürsorge nahezu euphorisch gefeiert. Das kann man nicht mit Vermenschlichung erklären, denn kaum eine menschliche Mutter stillt ihren Säugling heute noch 2,5 Jahre, obwohl das möglich und gesundheitlich vorteilhaft wäre. Es ist hier eher das Nichtwissen über Verhaltensformen von Wildrindern die Ursache. Hinzu kommt die emotionale „Aufbereitung der Story“: Dina nahm in jungen Jahren allen Mut zusammen und entfloh dem diktatorischen Regime des Nachbarbauern und dessen Folter und Ausbeutung. Ihre Flucht gelang, sie bekam im friedliche Buten-land Exil und durfte ihren Sohn Mattis in Freiheit zur Welt bringen. Klingt nach „7 Jahre Tibet“, ist aber eine wahre Rindergeschichte.

Wie würde Mattis artgerecht, d.h. in Freiheit leben? Wäre Dina eine Kuh in einer Wildrinderherde, hätte sie ihren Sohn abseits der Herde geboren und ihn genauso liebevoll aufgezogen, es wären keine Menschen gekommen und hätten ihm gewaltsam den Samenstrang abgequetscht oder ihm die Hoden rausoperiert. Schon bald nach der Geburt hätte dem „Mattis sein Papa“ wieder verstärktes Interesse an Dina bekommen und hätte sie mit viel Freude gemäß seinem und ihrem Fortpflanzungstrieb wieder besprungen, sie wäre schon 3-6 Wochen nach der Geburt wieder schwanger geworden.

Mattis hätte nun 9-11 Monate Zeit gehabt um bei seiner Mutter genügend Milch zu trinken, bis er dann als Halbstarker auch gut nur von Gras hätte leben können. Im Endstadium der erneuten Schwangerschaft hätte Dina ihn des Euters verwiesen, das Euter muß sich vor einer neuen Geburt regenerieren können. Unterstützt hätte Dina dabei dem „Mattis sein Papa“, er  hätte nämlich genau beobachtet, daß der kleine Bulle Mattis so langsam geschlechtsreif wird und beginnt spielerisch seine Mama zu bespringen. Der Bulle verhindert dies aus Konkurrenz oder schlauer: um Inzucht zu verhindern. Mattis wäre also aus der direkten Nähe der Mama Dina vertrieben worden, er hätte seinen Platz (ganz vermenschlicht) in der „Kita“ gefunden. Meist im Zentrum der Herde, also gut geschützt, wacht eine erfahrene Kuhmutter über eine grössere Gruppe jüngerer abgesetzter Kälber, diese suchen nur noch ab und zu ihre Mütter auf. Sie toben und tollen lieber miteinander herum. Dennoch bilden Rinder Familien, wäre Mattis eine „Martina“, wäre es üblich, daß sie nach der Kita-Zeit, selbst schon schwanger wieder zu Dina zurückkehrt und oft ein Leben lang bei ihr bleibt und in ihrer Nähe auch ihre Kälber bekommt. Und auch Dina, dann als Kuhoma, hätte mal auf das kleine Kalb aufpasst. Die Jungs leben in eigenen Banden, nur wenn es mal einer schafft dem „Mattis sein Papa“ zu besiegen, darf er wieder zu den Altkühen. Dann wird er auch seine Mutter besteigen.

Eine andere Bestandsregulierung ist das Töten und Schlachten, also die Nutzung durch den Menschen. Wie das möglichst schonend geschieht zeigt Uria eV mit ihrer autarken Rinderherde. Hier wird überhaupt nicht eingegriffen. Eine Herde von 270 Tieren aller Altersklassen lebt zusammen, darunter viele Bullen. Diese Herde kann alle natürlichen Verhaltensmuster ausleben, diese natürliche Haltung ist artgerecht. Der einzige Eingriff ist jedoch recht brutal: Damit sich die Herde nicht rasend vermehrt, werden jede Woche 2 -3 Tiere aus der Herde entfernt. Auch jeweils gemischt nach Alter und Geschlecht, so daß die Herdenstruktur erhalten bleibt. Das geschieht im Idealfall auf die maximal schonenste Art zu töten: ein schlafendes Tier wird mit einem schallgedämpften Gewehr am Rande der Herde auf der Weide durch Kopfschuß tief betäubt und anschliessend direkt in einer mobilen Schlachtbox durch Ausbluten getötet. Das tote Tier wird dann zum Schlachten, d.h. zerlegen in den nahegelegenen Betrieb gebracht. Es gibt keine Lebentransporte von Schlachttieren und auch keinen Schlachthof mit Accordbetrieb und verängstigt rufenden Tieren im Wartebereich.

Beide Haltungsformen sind artgerecht. Wenn man das Leben als höchstes Gut betrachtet liegt Hof Butenland trotz massiver Begrenzung der natürlichen Bedürfnisse der Tiere ethisch gesehen klar im Vorteil und für Vegetarier und Veganer ist Uria niemals akzeptabel. Wir sehen aber auch in Uria einen sehr wichtigen Aspekt. Sie zeigen, wie es auch jenseits von Massentierhaltung, Medikamenten , Zwangsmast und Schlachthöfen gehen kann. Sie sind der klare Maßstab für alle Fleischesser. Sie wiederlegen eindrücklich die Ausrede: „daß es eben nicht anders geht“ und zwar auch wirtschaftlich erfolgreich.