Nutzen ohne töten

„Nutzen ohne töten“
eine ethische Alternative für Landwirte

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Leben ohne Angst – Hinterwälder Kühe nur für Mist und Landschaftspflege

Allgegenwärtig ist das Thema „Vegan“. Vegane Kochbücher sind Bestseller, vegane Läden boomen usw. Wäre das ein Anlass zur Hoffnung für miserabel gehaltene Nutztiere? Tierrechtler lehnen Nutztierhaltung gar generell ab. Was also können Landwirte machen? 72% von ihnen halten heute Nutztiere.

Aus ökologischen und ethischen Gründen wäre die moderne Intensivhaltung bereits ein Auslaufmodell. Wachsende Weltbevölkerung und begrenzte Ackerflächen erfordern mehr direkten Anbau von Nahrung für Menschen, ohne den Umweg über das Tier. Mit Pflanzennahrung kann von derselben Fläche das 3-10 fache an Kalorien gewonnen werden im Vergleich zu Ernährung über Milch, Eier, Fleisch.

Zunächst ist es besonders unsinnig,  z.B. grosse Mengen amerikanisches Soja in die Massentierhaltung zu importieren und dort in Fleisch und Milch zu veredeln um dann – mangels heimischer Nachfrage – den Überschuss an erzeugten tierischen Produkten z.B. nach China zu exportieren. Zurück bleibt Gülle aus der industriellen Produktion mit ihren Problemen wie resistenten Keimen, Botulismus, Nitrat im Grundwasser usw.

Als zweiter Schritt wären die direkten Nahrungskonkurrenten des Menschen unter den Nutztieren kritisch zu betrachten: Intensive Geflügel- und Schweinebetriebe haben es zukünftig schwerer eine Daseinsberechtigung vorzuweisen.

Führt man das gedanklich zu Ende, landet man letztlich beim bioveganen Landbau, der scheinbar konsequente Weg Menschen zu ernähren und möglichst wenige Lebewesen dabei zu schädigen. Die Sache hat nur einen Haken: bioveganer Landbau findet trotz des ganzen veganen Hypes kaum statt. Leicht findet sich veganer Ersatzkäse, gefertigt mit Kokosfett aus Übersee, aber eine Biomöhre die ohne tierischen Dünger herangewachsen ist, bleibt eine Rarität. Mag sein, dass bioveganer Landbau nachhaltig funktioniert, im grösseren Rahmen praktiziert wird er jedenfalls zur Zeit nicht.

Hinzu kommt ein Einwand der in Effizienz denkenden Kritiker: was machen wir mit Dauergrünland, das nicht umgebrochen werden darf, oder umgewandelt werden kann, weil zu feucht, trocken oder zu steil? Es stellt sich die Frage, sollen oder wollen wir Kulturlandschaften erneut verändern, wenn wir Nutztierhaltung aufgeben? Das Allgäu, der Schwarzwald, die Alpenländer, nordische Küstengebiete: alles liebgewonnene Kulturdenkmäler, erschaffen von Tieren und Bauern.

Der Biobauer Martin Ott beschreibt in seinem wunderbaren Buch „Kühe verstehen“ wie der Mensch erst sesshaft werden konnte durch die Domestikation des Wildrindes. Diese uralte enge Verbundenheit sollen wir nun aufgeben?

Auch wenn beim Anblick moderner Güllelaufställe mit enthornten schwarzbunten Hochleistungskühen und Melkrobotern, Futtermischwagen u.a. grosse Zweifel berechtigt sind: viele Bauern lieben ihre Kühe! Auf jeder Milchpackung symbolisiert ironischerweise ein behorntes Prachtexemplar von Kuh auf grünen Blumenweiden eine tiefe Sehnsucht im Menschen nach Natur, nach Ursprünglichkeit.

Wie vereinbart nun ein Kuhbauer, der seine Tiere liebt, diese Verbundenheit mit dem jähen Ende? Eines Tages wird er die ausgediente Milchkuh zum schlachten geben, meist eher unsentimental und auch ohne grosse Dankbarkeit für all die Milch, die sie ihm gegeben hat, all die Kälber die sie zur Welt gebracht hat.

Gibt es ausser wirtschaftlichen Gründen einen Zwang zu dieser Gewalthandlung? Nein, entschloss sich ein Biobauer im Südschwarzwald. „Auch Kühe haben ein Recht auf eine angemessene Altersrente“ sagt Andreas Fendt und begann umzudenken. Auf seinem Bergbauernhof leben heute Kühe und Ziegen mit nur einem Nutzen: schön und anmutig zu sein, die Landschaft zu pflegen und das Verdaute als besten Dünger wieder von sich zu geben.

Auf dem Hof wird neben Grünland auch Gemüse und Getreide angebaut, für alles ist Mist vorhanden zur Düngung. Noch wird die tierfreundliche pflanzliche Erzeugung ohne besondere Auslobung vermarktet. Aber im Vergleich zu industriell gefertigten veganen Ersatzprodukten, aber auch zu Gemüse/Obst/Getreide mit Düngung aus „tierausbeuterischer“ Bioerzeugung, hat dieses System erhebliche ethische Vorteile.

Weitaus mehr Menschen leben nicht vegan, aber fleischfrei. Vegetarier, die Milchprodukte konsumieren müssen bisher immer das Töten von Tieren bei ihrem Konsum mitverantworten, obwohl sie es oft eigentlich ablehnen. Zu Ende gedacht heisst das Modell „Nutzen ohne töten“: es wird gemolken, ohne ein Tier zu töten. Alte Zwänge sollte man auch hier aufgeben. Wo steht z.B. als Gesetz verankert, das eine Kuh jedes Jahr ein Kalb zur Welt bringen muss? Wie lange würde eine Kuh Milch geben, wenn man sie „ewig“ weiter melkt ohne sie erneut zu decken?

Die Gedanken sind frei und es braucht mutige Bauern um das Konventionelle zu beenden und in Respekt vor den Tieren und Anerkennung der bäuerlichen Kultur neue Wege zu gehen.

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Andreas Fendt, Biobauer

Der Autor betreibt einen Vollerwerbsbetrieb mit nur 8 Hektar auf 900 Meter im Schwarzwald. Angebaut wird hauptsächlich Dinkel und Tomaten. Es erhalten 20 Schwarzwaldziegen und 2 Hinterwälder Kühe das Gnadenbrot. Seine Stiftung Lebenshof Ziege-Kuh-Mensch unterstützt dabei. Zur Zeit entwickelt er eine Biomarke „Gutes Bio“ mit hohen Tierwohlkriterien.
Info: http://www.lebenshof.org und http://www.gutesbio.de